Warum diese Vorlesung?

Im heutigen beruflichen Alltag ist es enorm wichtig, vorauszudenken und den Geist flexibel zu halten. Das Verstehen immer komplexerer Arbeitsumgebungen verlangt ständige Anpassung, permanentes Hinterfragen und das optimale Ausschöpfen des eigenen Potenzials. Studierende, die sich mit ihren eigenen Denkprozessen auseinandersetzen, haben die besten Voraussetzungen dazu. Im Rahmen dieser Vorlesung soll versucht werden, Studierenden das Thema Kritisches Denken näher zu bringen.

„Kritisches Denken“ kann definiert werden als

  • zwischen Fakten und Meinungen unterscheiden
  • die Zuverlässigkeit und Genauigkeit einer Aussage abschätzen
  • zwischen relevanten und nicht relevanten Informationen unterscheiden
  • implizite oder versteckte Annahmen in Aussagen entdecken
  • Fehler bei Argumenten aufzeigen können. 1

Dies ist eng verknüpft mit den Grundlagen der modernen Wissenschaft, insbesondere der formalen Logik. Wichtig ist, den Begriff „kritisches Denken“ als Grundlage der modernen Wissenschaften vom „(gesellschafts-)kritischen Denken“ zu trennen, was als Begriff gerade in den 60er Jahren oft überstrapaziert wurde. Möglicherweise ist dies eine Erklärung dafür, dass die Bedeutung dieses Themas in Deutschland lange vernachlässigt wurde, und erst jetzt – im Rahmen der internationalen Angleichung unserer Hochschulabschlüsse – wieder an Bedeutung gewinnt. Eine positive Bewertung findet man beispielsweise im „Europäischen Qualifikationsrahmen für Lebenslanges Lernen (EQR)“, den das Europäische Parlament und der Europäische Rat 2008 verabschiedet haben. Er definiert kritisches Denken als zentrale Zielkategorie der höheren Bildung.

Oft ist es so, dass sogar in den klassischen Naturwissenschaften, wie Physik und Chemie, die Studierenden zu keinem Zeitpunkt in Wissenschaftsgeschichte und -Theorie ausgebildet werden. Es wird vorausgesetzt, dass Studierende im Laufe ihres Studiums genug über die theoretischen Fundamente ihrer jeweiligen Wissenschaft mitbekommen, um diese dann später sinnvoll einsetzen zu können. Das so erworbene Wissen ist zwar ausreichend für die im Studium geforderten Lerninhalte, wie sich aber immer öfter zeigt, sind die zunehmend geforderten interdisziplinären Ansätze mit derart spezifischem Fachwissen alleine nicht zu bewältigen.

Die Kommunikation mit anderen Fachbereichen erfordert eine kritische Reflexion der eigenen Fähigkeiten und Einschränkungen. Zusätzlich muss eine Basis für die Kommunikation geschaffen sein, die gemeinsame Problemlösungen erlaubt. Im Gegensatz zum englischsprachigen Raum, wo Vorlesungen zu diesem Thema inzwischen von fast allen Universitäten durchgeführt werden, gibt es in Deutschland bisher wenige derartige Angebote. Ein Problem ist sicherlich, dass die Inhalte eines solchen Seminars aus unterschiedlichen Fachrichtungen kommen. So stammen Anwendungsbeispiele aus Physik, Chemie und Astronomie, zugleich werden auch Methoden und Theorien empirischer Psychologie eingesetzt. Dies alles wird in einen historisch wie philosophischen Kontext eingebunden, dessen Betrachtung bis heute relevant geblieben ist.

1 Astleitner, Brünken & Zander: Können Schüler und Lehrer kritisch denken? Virtuelle Denkschule, 2001